Atypische Parkinson-Syndrome
Neurologie
Steckbrief
Heterogene Gruppe neurodegenerativer Erkrankungen, deren Gemeinsamkeit im Auftreten eines Parkinson-Syndroms (Akinese/Bradykinese plus mindestens ein Merkmal von Rigor oder Tremor) besteht, die sich aber aufgrund ihrer Symptomatologie, ihres Verlaufs, ihrer Pathogenese, und ihres therapeutischen Ansprechens auf Levodopa vom idiopathischen Parkinsonsyndrom (Morbus Parkinson) abgrenzen lassen. Zu ihnen zählen die Demenz mit Lewy-Körperchen („dementia with Lewy bodies“, DLB), die Multisystematrophie (MSA), die progressive supranukleäre Blickparese (PSP) und die kortikobasale Degeneration (CBD). Weitere, noch seltenere Erkrankungen werden hier nicht besprochen. Mit dem Morbus Parkinson haben DLB und MSA das Vorkommen von α-Synukleineinschlüssen gemeinsam. Diese Gruppe von Erkrankungen wird deshalb auch als Synukleinopathien bezeichnet. Bei der progressiven supranukleären Blickparese und der kortikobasalen Degeneration steht das Tauprotein im Zentrum der Pathogenese („Tauopathien“). Phänotypische Überlappungen untereinander und mit Demenzerkrankungen sind häufig.
Synonyme
- Demenz mit Lewy-Körperchen
- Multisystematrophie (engl. multiple system atrophy), alte Literatur: olivopontozerebelläre Atrophie, striatonigrale Degeneration, idiopathische orthostatische Hypotonie (Shy-Drager-Syndrom)
- progressive supranukleäre Blickparese (engl. progressive supranuclear palsy; PSP)
- kortikobasale Degeneration (syn. bzw. überlappend: engl. corticobasal degeneration; kortikobasales Syndrom, corticobasal syndrome)
Keywords
- Parkinson-Syndrom
- Synukleinopathie
- Tauopathie
- Bewegungsstörung
Definition
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Parkinson-Syndrome, bei denen zu Beginn oder im Verlauf der Erkrankung charakteristische neuropsychologische Störungen oder Störungen des autonomen Nervensystems, der Blickmotorik oder fakultative weitere Symptome hinzutreten.
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Gemeinsamkeit ist das gegenüber dem idiopathischen Parkinson-Syndrom (Morbus Parkinson) schlechte Ansprechen auf Levodopa, der schnellere Verlauf und die erheblich verkürzte Lebenserwartung.
Demenz mit Lewy-Körperchen
- Es gelten für die DLB bestimmte Diagnosekriterien (Tab. 21.1) und Diagnosekategorien (Tab. 21.2) [1].
- Mit dem Begriff der Demenz mit Lewy-Körperchen ist eine Krankheitsentität gemeint, die konzeptionell von der Demenz beim Morbus Parkinson (PDD) getrennt wird. Der klinisch entscheidende Unterschied zwischen beiden Formen ist der Zeitpunkt des Auftretens der Demenz in Bezug auf das Auftreten eines Parkinson-Syndroms. Nach den Kriterien der Movment Disorder Society ist auch das Nebeneinander der Diagnose eines Idiopathischen Parkinsonsyndroms und einer Demenz mit Lewykörperchen möglich.
- Bei der DLB setzt die Demenz manchmal früher als die bradykinetische Bewegungsstörung, jedoch definitionsgemäß spätestens innerhalb eines Jahres nach ihrem Beginn ein, während bei der PDD vor dem Beginn der Demenz das Parkinson-Syndrom mehr als ein Jahr besteht.
- Da das pathologische Substrat der Demenz beim Morbus Parkinson ebenfalls in den Lewy-Körperchen vermutet wird, werden DLB und PDD im klinischen Sprachgebrauch manchmal als Lewy-Körperchen-Demenz bezeichnet, was zu Verwirrung führen kann.
- Es ist umstritten, ob es sich bei der DLB um eine eigenständige Krankheit handelt. Aktuell wird das Konzept der DLB jedoch klinisch für nützlich gehalten.
Nachweis einer Demenz, d.h. einer progredienten Abnahme kognitiver Leistungen in einem Ausmaß, aus dem eine Einschränkung normaler sozialer oder beruflicher Funktion oder gewöhnlicher täglicher Funktionen resultiert. |
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Fluktuation kognitiver Funktionen mit ausgeprägten Schwankungen in kognitiven Leistungen, Aufmerksamkeit und Wachheit. Wiederkehrende, typischerweise gut ausgeformte und detaillierte visuelle Halluzinationen. REM-Schlaf-Verhaltensstörung, diese kann der kognitiven Störung vorausgehen. Mindestens ein spontan auftretendes Hauptmerkmal eines Parkinson-Syndroms: Bradykinese, Ruhetremor oder Rigor. |
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Hochgradige Empfindlichkeit gegenüber Antipsychotika, posturale Instabilität, wiederholte Stürze, Synkope oder andere vorübergehende Episoden von Reaktionslosigkeit, schwere autonome Dysfunktion (Obstipation, orthostatische Hypotension, Harninkontinenz), Hypersomnie, Hyposmie, Halluzinationen in anderen Modalitäten, systematische Verkennungen; Apathie, Angst und Depression. |
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Reduzierte Dopamintransporteraktivität in den Basalganglien in SPECT oder PET-Untersuchungen, erniedrigte Traceraufnahme in der 123Jod-MIBG Myokardszintigrafie, polysomnografische Bestätigung eines REM-Schlafs ohne Atonie. |
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Relativ gute Erhaltung der Strukturen des medialen Temporallappens in der CT/MRT-Bildgebung. Generalisierte Minderaufnahme von Tracern in den SPECT/PET-Perfusions-/Stoffwechselaufnahmen mit Reduktion okzipitaler Aktivität. Zinguläres Inselzeichen (relative Erhaltung des Metabolismus im hinteren oder mittleren Zingulum in der FDG-PET-Bildgebung). Deutliche posteriore EEG-Verlangsamung mit periodischen Fluktuationen im Prä-Alpha-/Thetafrequenzband. |
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CT: Computertomografie, EEG: Elektroenzephalografie, FDG: Fluordesoxyglucose, MIBG: Metaiodbenzylguanidin, MRT: Magnetresonanztomografie, PET: Positronenemissionstomografie, REM: „rapid eye movement“, SPECT: „single photon emission computed tomography“ |
zwei oder mehr klinische Kernsymptome sind vorhanden, mit oder ohne Vorhandensein hinweisender Biomarker nur ein Kernsymptom ist vorhanden, plus ein oder mehrere hinweisende Biomarker. Eine wahrscheinliche DLB kann nicht allein auf der Basis von Biomarkern diagnostiziert werden. |
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nur ein klinisches Kernsymptom ist vorhanden, ohne hinweisenden Biomarker ein oder mehrere Biomarker sind vorhanden und es liegen keine klinischen Kernsymptome vor |
Multisystematrophie
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Die MSA ist eine Erkrankung, die entweder als Parkinson-Syndrom (sog. MSA-P) oder als zerebelläres Syndrom (MSA-C) beginnen kann.
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Bei beiden Formen tritt eine autonome Funktionsstörung obligat neben der Bewegungsstörung auf. Es gelten die in Tab. 21.3 formulierten Kriterien.
pathologische Bestätigung durch Nachweis einer hohen Dichte von glialen zytoplasmatischen Einschlüssen (Papp-Lantos-Körperchen) sowie degenerative Veränderungen nigrostriatal und olivopontozerebellär |
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sporadische progressive Erkrankung (Beginn >30. Lebensjahr) mit autonomer Funktionsstörung (Harninkontinenz, männliche erektile Dysfunktion) oder orthostatischer Blutdruckabfall ≥30mmHg systolisch und/oder ≥15mmHg diastolisch) |
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sporadische progressive Erkrankung (Beginn >30. Lebensjahr) mit Parkinson-Syndrom oder zerebellärem Syndrom einem Symptom einer autonomen Funktionsstörung (Harndrang, unvollständige Blasenentleerung, erektile Dysfunktion ohne andere Ursache oder substanzieller Blutdruckabfall geringerer Ausprägung als Kriterium für „wahrscheinliche Diagnose“
MSA-P oder MSA-C: ein Zusatzsymptom (z.B. Babinski-Zeichen, Stridor, frühzeitige Dysphagie, posturale Instabilität) MSA-P: rapid progredienter Parkinson, posturale Instabilität<3 Jahre, zerebelläre Zeichen, Dysphagie <5 Jahre, schlechtes Ansprechen auf Levodopa, bildgebende Hinweise (FDG-PET: Hypometabolismus Putamen, Hirnstamm, Zerebellum; MRT: Atrophie von Putamen, Pons, Zerebellum, mittlerer Kleinhirnstiel) MSA-C: Parkinsonismus, präsynaptische nigrostriatale dopaminerge Denervierung im SPECT/PETMRT/PET, Atrophie (s.o.) |
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FDG: Fluordesoxyglucose, MRT: Magnetresonanztomografie, PET: Positronenemissionstomografie, SPECT: „single photon emission computed tomography“ |
Progressive supranukleäre Blickparese
- Unter dem Begriff PSP wird ein Spektrum von motorisch-bradykinetischen und das Verhalten betreffenden Syndromen verstanden.
- Die ursprüngliche, auf Steele, Richardson und Olszewski zurückgehende Definition beschrieb ein akinetisch-rigides Syndrom, das zusätzlich durch eine supranukleäre Blickparese und eine schwere posturale Störung gekennzeichnet ist. Dieses klassische Syndrom wird heute als Richardson-Syndrom (PSP-RS) bezeichnet.
- Der Begriff PSP umfasst heute eine Reihe von anderen Phänotypen, deren gemeinsame Pathologie die bisher nur neuropathologisch-autoptisch nachweisbare 4-Repeat-Taupathologie darstellt.
- Für das RS und die Nicht-Richardson-Syndrom-Phänotypen wurden 2017 neue operationalisierte Kriterien veröffentlicht (Tab. 21.4) [2].
- Die Anwendung der Kriterien erfordert auch die Beachtung einiger absoluter und einiger kontextabhängiger Ausschlusskriterien, bei deren Vorliegen die Diagnose nicht gestellt werden darf. Aus der Kombination verschiedener Merkmale ergibt sich dann der mit dem Grad der diagnostischen Sicherheit qualifizierte Prägnanztyp. Dabei entspricht eine sichere PSP der neuropathologischen Diagnose.
- Weitere Stufen der diagnostischen Sicherheit sind „wahrscheinliche“ PSP (mindestens O2 plus mindestens P2 oder irgendeine akinetische Störung oder mindestens C2) und „mögliche“ PSP (nur O1 oder O2 plus P3 oder nur A1 oder mindestens O2 mit C1 oder C3). Die schwächste Kategorie ist ein „Hinweis auf PSP“ bei dem die charakteristische Blickparese fehlt, aber eine Kombination aus anderen Merkmalen oder einer der kognitiven Prädominanztypen C1 oder C3 vorliegt.
spontanes Auftreten einer progredienten neurodegenerativen Erkrankung mit Beginn nicht vor dem 40. Lebensjahr |
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O1: vertikale supranukleäre Blickparese O2: Verlangsamung vertikaler Sakkaden O3: häufige, mit dem bloßen Auge sichtbare „macro square wave jerks“ (horizontale unwillkürliche Sakkaden mit Rückstellung zur Ausgangsposition innerhalb von 200–300ms) oder Lidöffnungsapraxie |
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posturale Instabilität (Symptome innerhalb der letzten 3 Jahre): P1: häufige unprovozierte Stürze P3: mehr als 2 Schritte rückwärts im Zugtest bei erhaltener Fähigkeit, das Gleichgewicht wiederzugewinnen. |
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A1: progrediente Gangblockaden (innerhalb der letzten 3 Jahre) A2: Levodopa-resistentes, akinetisch-rigides, vorwiegend axiales Parkinson-Syndrom A3: Parkinson-Syndrom mit Tremor und/oder asymmetrischer Ausprägung mit oder ohne Ansprechen auf Levodopa |
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C1: Störung des Sprechens oder der Sprache: nicht flüssige/agrammatische Variante einer primär-progredienten Aphasie oder progredienten Sprechapraxie |
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CC1: Levodopa-Resistenz CC2: hypokinetische, spastische Dysarthrie CC3: Dysphagie |
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IF1: Atrophie oder Hypometabolismus, vorwiegend des Mittelhirns |
Demenz mit Lewy-Körperchen
- Die klassische Form der CBD ist definiert als eine asymmetrische bradykinetische Bewegungsstörung, die mit einem Defizit in einer lateralisierten höheren Hirnfunktion vergesellschaftet ist (Tab. 21.5).
- Ausschlusskriterien für eine CBD sind
- ein Ruhetremor von 4–6Hz
- eine exzellente und anhaltende Levodopa-Responsivität
- das Auftreten von Halluzinationen
- Für die Diagnose einer wahrscheinlichen CBD werden spezifische klinische Kriterien verlangt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine CBD-Pathologie voraussagen [3].
- Für die Diagnose einer möglichen CBD gelten Kriterien, die nicht spezifisch mit der bestimmten Tauproteinpathologie der CBD verbunden sind. Patienten mit möglicher CBD werden also häufiger z.B. eine PSP-Pathologie oder eine Alzheimer-Pathologie aufweisen.
- Für das Vorliegen einer wahrscheinlichen CBD sind zu fordern:
- allmählicher Beginn
- Progredienz für mindestens 1 Jahr
- Beginn nicht vor dem 50. Lebensjahr
- Fehlen einer gleichartigen Familienanamnese oder von Tauproteinmutationen
- Gleichzeitig muss ein klinischer Phänotyp eines wahrscheinlichen kortikobasalen Syndroms oder eines frontalen behavioral-räumlichen Syndroms oder einer nicht flüssigen primären Aphasie mit mindestens einem Merkmal eines kortikobasalen Syndroms vorliegen.
- Eine mögliche CBD macht weniger starke Einschränkungen zum Alter, zur Familienanamnese und schließt auch Taumutationen und weniger klare Phänotypen ein (u.a. einen PSP-Phänotyp) [4].
Autoptischer Nachweis einer 4R-Taupathologie in spezifischer topografischer Verteilung. |
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asymmetrisches Auftreten von 2 Merkmalen aus a) Rigor oder Akinese einer Extremität, b) Dystonie einer Extremität, c) Myoklonus einer Extremität plus 2 aus d) Apraxie orobukkal oder einer Extremität, e) kortikales sensibles Defizit, f) Alien-Limb-Phänomen |
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symmetrische Symptomausprägung möglich: ein Merkmal aus a) Rigor oder Akinese einer Extremität, b) Dystonie einer Extremität, c) Myoklonus einer Extremität plus 1 Merkmal aus d) Apraxie orobukkal oder einer Extremität, e) kortikales sensibles Defizit, f) Alien-Limb-Phänomen |
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zwei Merkmale aus a) dysexekutives Syndrom, b) Veränderungen des Verhaltens oder der Persönlichkeit, c) visuospatiale Defizite |
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nicht flüssige/agrammatische Variante der primär progredienten Aphasie |
angestrengte, agrammatische Sprache plus mindestens ein Merkmal aus a) eingeschränktes Verständnis von Grammatik/Sätzen mit relativ erhaltenem Wortverständnis, b) Sprechapraxie |
drei Merkmale aus a) axiale(r) oder symmetrische(r) Rigor oder Akinese einer Extremität, b) posturale Instabilität oder Stürze, c) Harninkontinenz, d) Verhaltensänderung, e) supranukleäre vertikale Blickparese oder verminderte Geschwindigkeit vertikaler Sakkaden |
Epidemiologie
Häufigkeit
- DLB: Die Inzidenz beträgt 50–160 pro 100000 Personenjahre (ca. 5% aller Demenzfälle). Schätzungen der Punktprävalenz gehen weit auseinander und betragen zwischen 2 und 3300 auf 100000 Einwohner [5].
- MSA: Die jährliche Inzidenz liegt bei 0,6–3, die Prävalenz reicht von 3,4–5 je 100000 Einwohner [6].
- PSP: Das PSP-RS hat eine Inzidenz von ca. 1 auf 100000 und einer Prävalenz von 5–7 auf 100000 Einwohner [7].
- CBD: Die Inzidenz beträgt 0,6–0,9 pro 100000 Personenjahre, die Prävalenz liegt bei 4,9–7,3 pro 100000 [8].
Altersgipfel
- DLB: Keine systematischen Erhebungen, Beginn in der Regel oberhalb des 60. Lebensjahres.
- MSA: Mittleres Erkrankungsalter liegt zwischen 53 und 65 Jahren, die mediane Überlebenszeit beträgt 6–10 Jahre mit 1- bzw. 5-Jahres-Überlebensraten von 74% bzw. 24% [6].
- PSP: Der Altersgipfel des PSP-RS liegt zwischen 70 und 74 Jahren mit etwa 18 Fällen pro 100000 Einwohnern. Die neuropathologischen Veränderungen der PSP haben in Autopsiestudien eine weit höhere Prävalenz.
- CBD: Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 64 Jahren, die Spanne des Erkrankungsalters reicht von 45 bis 77 Jahren. Die mittlere Lebenswartung beträgt 7 Jahre.
Geschlechtsverteilung
- DLB: Zum Geschlechterverhältnis liegen widersprüchliche Angaben vor [5].
- MSA: Männer und Frauen sind etwa gleich häufig betroffen.
- PSP: Das Verhältnis von männlichen zu weiblichen Patienten beträgt ca. 3:2.
- CBD: Die Erkrankung soll etwas häufiger bei Frauen als bei Männern sein [8].
Prädisponierende Faktoren
- DLB: Es sind keine prädisponierenden Faktoren bekannt.
- MSA: In einer Studie waren MSA-Patienten häufiger in der Landwirtschaft tätig und rauchten seltener [9].
- PSP: In einer Fallkontrollstudie blieb als einziger Umweltfaktor das Trinken von Brunnenwasser assoziiert mit einem höheren Erkrankungsrisiko.
- CBD: Es sind keine prädisponierenden Faktoren bekannt.
Ätiologie und Pathogenese
- Den atypischen Parkinsonsyndromen liegen Aggregationen des α-Synukleins oder des Tauproteins zugrunde. Bei der DLB und der MSA handelt es sich um Erkrankungen mit pathologischer Aggregation des α-Synukleins, bei der PSP und der CBD um Tauproteinopathien.
- DLB: Die α-Synukleinaggregate finden sich vorwiegend in Neuronen, innerhalb von Lewy-Körperchen.
- MSA: Neuropathologisch kommt es zu einer striatonigralen Degeneration und olivopontozerebellären Atrophie, was den zwei klinischen Prägnanztypen der MSA entspricht.
- Histologisch finden sich zytoplasmatische Einschlüsse in oligodendroglialen Zellen (sog. Papp-Lantos-Körperchen) und später auch Nervenzellen, die vorwiegend aus abnorm gefaltetem α-Synuklein bestehen. Diese sind vorwiegend in den Basalganglien, dem Zerebellum, dem Pons und der Substantia nigra zu finden. Aktivierte Mikroglia und reaktive Astrogliose können vorkommen.
- Die Prionhypothese, wonach verschiedene Proteinopathien neurodegenerative Erkrankungen verursachen können, scheint möglicherweise auch auf die MSA zuzutreffen. So führte die intrazerebrale Inokulation mit Homogenisaten von MSA-Patienten im Mausmodell (TgM83+/-) über Akkumulationen und Ablagerungen von α-Synuklein zur Neurodegeneration.
- In der Regel tritt die MSA als sporadische Erkrankung auf, jedoch legt das seltene familiäre Auftreten bei einem Teil der Patienten eine genetische Mitursache nahe.
- PSP: Die PSP ist neuropathologisch gekennzeichnet durch die Akkumulation von phosphoryliertem 4-Repeat-Tauprotein in Neurofibrillenbündeln und Neuropilfäden in den Basalganglien, dem Frontallappen und dem Hirnstamm.
- Mikroskopisch finden sich ein Neuronenverlust, eine Gliose, büschelförmige Astrozyten und oligodendrogliale „coiled bodies“.
- Die PSP-Varianten haben eine weniger stark auf den Hirnstamm konzentrierte Verteilung der Ablagerungen.
- Auch für die PSP wird eine Transmission über funktionell und anatomisch verknüpfte neuronale Netze diskutiert.
- CBD: Die CBD ist durch eine ausgedehnte Ablagerung von hyperphosphoryliertem 4-Repeat-Tauprotein in Neuronen und Gliazellen (astrozytische Plaques, besonders in Arealen mit kortikaler Atrophie) in bestimmter anatomischer Verteilung gekennzeichnet.
- Die charakteristischste Taupathologie besteht in feinen filamentären Einschlüssen innerhalb der neuronalen Zellkörper.
- Die CBD unterscheidet sich von der PSP auch durch die Morphologie der astrozytären Tauablagerungen. Fadenartige Gebilde in der Grauen und Weißen Substanz finden sich in den kortikalen und subkortikalen Arealen bei der CBD in größerer Häufigkeit als bei der PSP.
Klassifikation und Risikostratifizierung
- DLB: Die DLB lässt sich auf der Basis der Verteilung der Lewy-Körperchen autoptisch unterteilen in einen neokortikalen und einen limbischen Typ, es werden zusätzlich auch Typen mit vorwiegendem Befall des Hirnstamms, der Amygdala und des Bulbus olfactorius unterschieden. Der neokortikale Typ ist durch einen schnelleren Verlust von Leistungen in allen kognitiven Domänen, einschließlich dem episodischen Gedächtnis, und Fluktuationen in semantischen und das Arbeitsgedächtnis betreffenden Gedächtnisleistungen gekennzeichnet, während der limbische Typ eine schnellere Abnahme in visuell-räumlichen Leistungen zeigt.
- MSA: Bei der MSA unterscheidet man eine Parkinson-Variante (MSA-P) von einem zerebellären Subtyp (MSA-C), je nachdem, welche Symptome anfangs führend sind. Diagnostische Kriterien existieren für die klinische Diagnose der PSP und der MSA, jedoch bleibt die histopathologische Untersuchung von Autopsiematerial der Goldstandard für die diagnostische Klassifikation.
- PSP: Die klassische Form der PSP ist das Richardson-Syndrom (PSP-RS). Daneben existieren verschiedene andere Varianten. Die Variante PSP-Parkinsonismus (PSP-P) lässt sich klinisch anfangs nicht von einem idiopathischen Parkinson-Syndrom unterscheiden. Weitere Varianten:
- PSP mit progredienter Gangblockade (PSP with progressive gait freezing [PSP-PGF])
- kortikobasales Syndrom (PSP-CBS)
- primär progrediente Sprechapraxie oder nicht flüssige Variante der primären Aphasie (PSP with predominant speech or language disorder [PSP-SL])
- Verhaltensvariante der frontotemporalen Demenz (PSP with predominant frontal presentation [PSP-F])
- PSP mit zerebellärer Ataxie (PSP with predominant ataxia [PSP-C])
- CBD: Es werden 4 Phänotypen unterschieden:
- kortikobasales Syndrom (corticobasal syndrome [CBS])
- frontales behavioral-räumliches Syndrom (frontal behavioral-spatial syndrome [FBS])
- nicht flüssige/agrammatische Variante der primär progressiven Aphasie (nonfluent/agrammatic variant of primary progressive aphasia [naPPA])
- progredientes supranukleäres Blickparesesyndrom (progressive supranuclear palsy syndrome [PSPS], äquivalent zum Richardson-Syndrom)
- Hinsichtlich der Varianten naPPS und PSPS ergeben sich phänotypische Überlappungen mit der PSP. In Serien, in denen die Diagnose einer CBD neuropathologisch verifiziert wurde, begann die Symptomatik lediglich bei etwas mehr als einem Viertel aller Patienten mit einem CBS.
Symptomatik
Demenz mit Lewy-Körperchen
- Im Vordergrund der Demenz stehen Störungen der Exekutivfunktionen, somit von kognitiven Leistungen, die bei der Verhaltenskontrolle und Handlungsplanung notwendig sind.
- Weiterhin dominieren Einschränkungen der visuell-räumlichen Leistungen, Aufmerksamkeitsdefizite und Antriebsstörungen.
- Bei einer Störung der Gedächtnisleistung sind überwiegend das Enkodieren und der Abruf beeinträchtigt.
- Ein Parkinson-Syndrom ist für die Diagnose nicht obligat. Wenn es besteht, darf es der Demenz höchstens ein Jahr vorausgelaufen sein.
Multisystematrophie
Motorische Störungen:
- Die klassischen Parkinson-Symptome wie Bradykinese, Rigor, Tremor und Haltungsinstabilität kennzeichnen die MSA-P, während zerebelläre Ataxie mit breitbasigem Gang, Aktions- und Intentionstremor, Blickrichtungsnystagmus, hypometrische Sakkaden und Dysarthrie bei der MSA-C dominieren. Allerdings gibt es beträchtliche Überlappungen, indem gut die Hälfte der MSA-P-Patienten zerebelläre Zeichen und etwa drei Viertel der MSA-C-Patienten Parkinson-Symptome aufweisen [10].
- MSA-P-Patienten können zu Beginn der Erkrankung auf zumeist höhere Dosen von Levodopa ansprechen, was sich im weiteren Verlauf aufgrund der zunehmenden striatalen Degeneration verliert. Charakteristisch sind faziale Levodopa-induzierte Dystonien. Dystone Bewegungsstörungen treten aber auch als Teil der Erkrankung bei knapp der Hälfte aller Levodopa-naiven MSA-Patienten in Erscheinung (z.B. zervikale Dystonie [„Anterokollis“], Extremitätendystonie) [11].
- 80% aller MSA-Patienten, insbesondere vom Typ MSA-P, weisen einen Tremor auf [12], der je nach zugrundeliegender Pathologie sehr komplex sein kann. Die klinische Unterscheidung zwischen einem irregulären Tremor und einem Myoklonus ist nicht immer einfach. Ein Drittel aller Patienten weist einen Ruhetremor auf, allerdings nur bei 10% in Form eines für den Morbus Parkinson typischen Pillendrehertremors von 3–6Hz. Ein atypischer schneller, irregulärer, myoklonischer Ruhetremor ist häufiger. Typisch ist bei 50% der MSA-Patienten ein irregulärer posturaler Tremor, meist im Sinne eines Mini(poly)myoklonus.
- Bis zu 50% der Patienten weisen Pyramidenbahnzeichen in Form von gesteigerten Reflexen oder eines Babinski-Zeichens auf, eine ausgeprägte Spastik ist jedoch nicht typisch und sollte Anlass zu Zweifel an der Diagnose einer MSA geben.
Nicht-motorische Störungen:
- autonomes Nervensystem:
- Autonome Störungen gehören zu den frühen Kernsymptomen einer MSA und sind meist urogenitaler und kardiovaskulärer Natur.
- Nahezu alle Männer berichten über erektile Dysfunktion, 80% aller Patienten über Blasenstörungen im Sinne von vermehrtem Harndrang, Dranginkontinenz, Nykturie und seltener inkompletter Blasenentleerung mit Restharn [13].
- Die orthostatische Hypotension ist definiert als ein posturaler Blutdruckabfall von mindestens 30mmHg systolisch oder 15mmHg diastolisch innerhalb von 3min. Sie kann asymptomatisch sein oder sich klinisch als Synkope, Benommenheit, Schwindel oder Kopf- oder Nackenschmerz manifestieren. Postprandiale Hypotensionen wie auch nächtliche oder in Rückenlage auftretende Hypertension [14] (systolischer Blutdruck ≥150mmHg oder diastolisch ≥90mmHg) sind häufig.
- Weitere autonome Störungen umfassen Schweißsekretionsstörungen (Anhidrose), Obstipation, Hyposalivation und Hypolakrimation.
- Schlaf:
- Schlafstörungen kommen sowohl bei MSA-P wie auch MSA-C häufig vor. Am häufigsten sind REM-Schlafstörungen (90–100%), die zusammen mit nächtlichem Stridor als Warnhinweis aufzufassen sind und entsprechende Sicherheitsmaßnahmen nach sich ziehen.
- Der Stridor basiert auf einer unzureichenden Abduktion und paradoxen Bewegung der Stimmbänder und erfordert eine laryngoskopische Abklärung.
- Weitere Störungen im Schlaf-Wach-Rhythmus sind Fragmentationen des Schlafs und vermehrte Tagesmüdigkeit und „sleep disordered breathing“ [15].
- kognitive und psychiatrische Störungen:
- Ein kognitiver Abbau stellt sich nach einem Krankheitsverlauf von mehreren Jahren ein und betrifft vor allem Exekutivfunktionen. In einer großen prospektiven, teilweise autoptisch gesicherten Studie zum Profil und Schweregrad neuropsychologischer Störungen von Patienten mit MSA oder PSP (Neuroprotection and Natural History in Parkinson Plus Syndromes, NIPPS) fanden sich kognitive Einschränkungen bei ca. 20% und Hinweise auf dysexekutive Störungen bei ca. 32% der MSA-Patienten. Bei 22% der MSA-Patienten ließen sich Einschränkungen schon in frühen Krankheitsstadien finden.
- Bei einigen Patienten kann sich eine Demenz entwickeln.
- Optische Halluzinationen sind untypisch für MSA [16].
- Bei 43% der Patienten mit MSA lag eine Depression vor [17], weitere 28% hatten eine mögliche Depression.
- 37% der Patienten klagten über Symptome von Angst.
- Schmerz wurde von 78% der MSA-Patienten angegeben.
Progressive supranukleäre Blickparese
- PSP-RS (Richardson-Syndrom):
- Die supranukleäre vertikale Blickparese (verlangsamte und hypometrische vertikale Sakkaden, verlangsamter oder aufgehobener optokinetischer Nystagmus) stellt das klassische und definitive diagnostische Merkmal der klassischen PSP (PSP-RS) dar. Sie tritt jedoch häufig erst nach mehreren Jahren im Krankheitsverlauf auf.
- Früh auftretende Merkmale sind:
- ein schlurfendes, unsicheres Gangbild
- unerklärliche Stürze nach hinten ohne Bewusstseinsverlust
- eine Bradykinese
- innerhalb von 2 Jahren auftretende leichte kognitive Störungen (Denkverlangsamung)
- Veränderungen der Persönlichkeit (Apathie oder Disinhibition)
- Weitere Merkmale sind unspezifische Augensymptome wie ein unwillkürlicher Lidschluss oder eine Lidöffnungsapraxie, häufig beim Sprechen. Die Blinzelrate ist reduziert, was zu sekundären Augenirritationen führen kann.
- Eine knurrende, hypophone Sprache und Schluckstörungen treten früh im Krankheitsverlauf auf.
- Häufig findet sich eine Überaktivität des M. frontalis und des M. corrugator.
- PSP-P:
- Klinisch so lange nicht von einem idiopathischen Parkinson-Syndrom zu unterscheiden wie die PSP-typischen okulomotorischen Symptome fehlen.
- Levodopa-assoziierte Dyskinesien, autonome Funktionsstörungen und visuelle Halluzinationen kommen weniger häufig vor als bei Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom.
- PSP-PGF:
- Anfangs liegt nur eine progrediente Gangstörung mit Starthemmung und Gangblockaden vor.
- Ähnliche Starthemmungen können auch beim Sprechen oder Schreiben auftreten.
- PSP-CBS:
- Kombination eines progredienten Rigors der Extremitäten, einer Apraxie, eines kortikalen Sensibilitätsverlustes, einem Alien-Limb-Phänomen (Gefühl der Fremdheit einer Extremität) und einer Bradykinese mit fehlender Beeinflussbarkeit durch dopaminerge Medikation.
- Dieses Syndrom kann auch durch eine andere Pathologie verursacht werden als die charakteristische PSP-4-Repeat-Tauproteinpathologie.
- PSP-SL:
- Die Sprechstörung besteht in einer angestrengten, unterbrochenen Sprache mit Störungen der Lautbildung (Sprechapraxie) oder in einem Agrammatismus bei Sprachäußerungen.
- PSP-F:
- Frühe und fortschreitende Veränderung der Persönlichkeit, des Sozialverhaltens, des spontanen Verhaltens (Apathie, Hyperoralität) und der Kognition.
- PSP-C:
- Dies ist die seltenste Variante einer PSP.
- Beginn mit zerebellärer Ataxie, danach Entwicklung der typischen okulomotorischen Störung und der Stürze.
- Diese Variante ist von der MSA-C klinisch durch das Fehlen der autonomen Funktionsstörung zu differenzieren.
- Die PSP-C wurde nicht in die PSP-Kategorien der Movement Disorder Society aufgenommen.
- Der Verdacht auf PSP („suggestive of PSP” [soPSP]) kann gestellt werden, wenn zwar klinische Merkmale vorliegen, aber keine der Definitionen der PSP ganz erfüllt ist. Dazu gehören verlangsamte Sakkaden oder eine anders nicht erklärbare posturale Instabilität.
Kortikobasale Degeneration
- Motorik:
- Beim kortikobasalen Syndrom liegt ein in der Regel asymmetrisches, auf Levodopa nicht responsives Parkinson-Syndrom vor.
- Zusätzlich sind dystone Zeichen und ein Myoklonus häufig.
- Rigor (85%) und Bradykinese (76%) sind die häufigsten motorischen Symptome.
- Das Parkinsonsyndrom kann auch erst im Verlauf der Erkrankung zu den kortikalen Symptomen hinzutreten.
- Ein Tremor (39%) kann bei allen Formen (Ruhe-, Aktions- und Haltetremor) vorkommen.
- Gangstörungen bestehen bei 73% der Patienten im Verlauf, jedoch nur bei einem Drittel zu Beginn.
- Etwa 38% weisen eine Dystonie der Extremitäten auf.
- Ein Myoklonus kommt bei 55–93% der Patienten vor, sowohl als stimulussensitiver Myoklonus als auch als Aktionsmyoklonus.
- Selten können auch Zeichen der Schädigung des ersten Motoneurons auftreten.
- Kortikale Funktionsstörungen:
- Symptome, die auf eine kortikale Störung hinweisen:
- Apraxie
- sog. Alien-Limb-Phänomen
- kortikal erklärbare Sensibilitätsstörung (z.B. Grafästhesie bei intakter elementarer sensibler Funktion, Sensibilitätsstörungen in nicht peripher erklärbarer Verteilung)
- Verhaltensstörungen
- Aphasie
- Eine gliedkinetische Apraxie besteht bei mehr als der Hälfte der Fälle. Noch häufiger ist eine ideomotorische Apraxie (Störung des pantomimischen oder realen Objektgebrauchs). Es kommen auch eine bukkofaziale Apraxie oder eine Lidöffnungsapraxie vor.
- Aphasische Sprachstörungen kommen im Verlauf bei ca. der Hälfte der Patienten vor, meistens in Form der primär progredienten Aphasie („primary progressive aphasia“ [PPA]) oder einer progredienten nicht flüssigen Aphasie („progressive nonfluent aphasia“ [PNFA]).
- Andere kognitive Störungen können sich in Form von mnestischen Störungen oder einer Störung des Lernens oder der Ausführung von exekutiven Funktionen zeigen, während Rechenstörungen und visuell-räumliche Leistungen zumindest anfangs selten betroffen sind. Halluzinationen gehören nicht zum Krankheitsbild.
- Symptome, die auf eine kortikale Störung hinweisen:
Diagnostik
Diagnostisches Vorgehen
- Nachdem die klinische Untersuchung ein Parkinson-Syndrom (Bradykinese plus mindestens ein Merkmal aus Rigor und Tremor) gesichert hat, zielen die folgenden Schritte auf die Abgrenzung vom idiopathischen Parkinson-Syndrom (Morbus Parkinson) und der Zuordnung zu einer der existierenden Krankheitsentitäten. Dazu werden die nachstehenden Tests und Untersuchungsmethoden eingesetzt, die jeweils weiter unten abgehandelt werden.
- Kraniale Schnittbilddiagnostik. Eine MRT-Bildgebung ist wegen der höheren räumlichen Auflösung von Strukturen der hinteren Schädelgrube anzustreben.
- Levodopa-Test, nuklearmedizinische Untersuchungen, Liquordiagnostik, Serumdiagnostik, Schlaflabor, neuropsychologische Testung, autonome Testung und andere fakultative Verfahren.
- DLB: Neuropsychologische Testung, die das volle Spektrum möglicherweise betroffener kognitiver Domänen abdeckt. Typisch sind eine besonders starke Beeinträchtigung von Funktionen der Aufmerksamkeit und Exekution und der Prozessierung visueller Reize im Vergleich zu Gedächtnis und sprachlichen Leistungen. Klassische Tests sind das Kopieren von geometrischen Figuren oder die Zeichnung einer Uhr (nach Shulmann).
Anamnese
- DLB: Es ist besonders nach Anzeichen einer Demenz zu fragen, nach Fluktuationen von Wachheit und Aufmerksamkeit, Halluzinationen, Symptomen einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung.
- MSA: Wichtig sind Fragen nach Symptomen autonomer Funktionsstörungen: Blasenkontrollstörungen, orthostatischen Störungen (Schwarzwerden vor den Augen, unerklärliche Stürze), Erektionsstörungen, Störungen der Schweißsekretion, der Wärmeregulation.
- PSP: Insbesondere ist nach dem Auftreten unerklärlicher Stürze ohne Bewusstseinsverlust zu fragen. Die Störung der Okulomotorik hat oft kein anamnestisches Korrelat.
- CBD: Fragen zielen auf die Aufdeckung kortikaler Funktionsstörungen (Objektgebrauch, Planung), auf das Vorhandensein von Sensibilitätsstörungen oder Körperschemastörungen (Alien-Limb-Phänomen, Fremdheitsgefühl für eine Extremität).
Körperliche Untersuchung
- Bei Verdacht auf ein atypisches Parkinson-Syndrom ist nach klinischen Zeichen einer Systemüberschreitung zu suchen:
- okulomotorische Störungen (pathologische Nystagmen, eingeschränkte Blickwillkürmotorik, Verlangsamung der Sakkadengeschwindigkeit)
- zerebelläre Zeichen
- autonome Funktionsstörungen (Zeichen der Harninkontinenz, verzögerte kapilläre Wiederauffüllung, Cold-Hand-Zeichen)
- Pyramidenbahnzeichen
- neuropsychologische Störungen
Labor
- Es existieren aktuell keine etablierten gesicherten Liquor- oder Serumbiomarker, mit der die Diagnose eines bestimmten atypischen Parkinson-Syndroms positiv zu stellen wäre. Aktuelle Studien untersuchen den Wert einzelner Marker zur Differenzialdiagnose zwischen den atypischen Parkinsonsyndromen oder zur Abgrenzung von einem idiopathischen Parkinsonsyndrom und der Alzheimer-Demenz.
- Das NfL-Protein (NfL: „neurofilament light chain“) ist bei allen atypischen Parkinsonsyndromen im Vergleich zu Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom erhöht [18], differenziert aber nicht zwischen den einzelnen atypischen Parkinsonsyndromen. Die Serumkonzentration von NfL korreliert eng mit der Liquorkonzentration.
- Leichtketten-Neurofilament ist 2–5-fach erhöht im Vergleich zu Gesunden, Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom oder Demenz mit Lewy-Körperchen, können aber nicht zur Abgrenzung gegenüber einer MSA oder einer CBD verwendet werden. Die Höhe der Leichtketten-Neurofilament-Konzentration im Plasma ist mit dem Krankheitsverlauf korreliert.
- Bei der PSP sind Phospho-Tau und Gesamttaukonzentrationen normal oder erniedrigt (Abgrenzung zur Alzheimer-Demenz).
Bildgebende Diagnostik
Sonografie
-
Die Parenchymsonografie der Substania nigra (SN) zeigt in Projektion auf die SN eine echogene Struktur. Bei allen atypischen Parkinsonsyndrome wird eine flächenmäßig ausgedehntere SN (hyperechogene SN) beobachtet, bei Synukleinopathien (IPS, DLB und MSA) häufiger als bei Tauopathien (PSP, CBD).
CT
-
Die Schnittbilddiagnostik dient dem Ausschluss von Differenzialdiagnosen (Normaldruckhydrozephalus, subkortikale Enzephalopathie)
-
Zur Abgrenzung zwischen verschiedenen atypischen Parkinson-Syndromen ist eine MRT immer zu bevorzugen, wenn sie technisch möglich ist.
MRT
- Die Schnittbilddiagnostik dient dem Ausschluss von Differenzialdiagnosen (z.B. Normaldruckhydrozephalus, subkortikale Enzephalopathie, Morbus Wilson) und der Identifizierung typischer Atrophiemuster. Letztere finden sich in typischer Ausprägung jedoch in der Regel in bereits fortgeschrittenen Krankheitsstadien, sodass sie für die frühe Differenzialdiagnose zum Morbus Parkinson und zwischen verschiedenen atypischen Parkinson-Syndromen aktuell nur von geringem Wert sind.
- Eine vollautomatische Methode, die auf einer atlasbasierten Volumetrie in Verbindung mit einer Support-Vector-Machine-Klassifikation beruht, und über 100 Patienten mit PSP, über 80 Patienten mit MSA mit einer Gruppe von Patienten mit Morbus Parkinson und gesunden Kontrollen verglich, erbrachte eine Trenngenauigkeit von ca. 80% [19].
- DLB: Bei der DLB kann sich eine generalisierte Hirnatrophie finden, bei der die Strukturen des medialen Temporallappens vergleichsweise gut erhalten sind.
- MSA.
- Bei der MSA-C findet sich die ausgeprägteste Atrophie in Pons, Zerebellum und den Pedunculi cerebellares medii, während bei der MSA-P das Putamen am stärksten atrophiert ist.
- Mittels spezieller MRT-Sequenzen (T2-gewichtet, T2*-gewichtetes Gradientenecho, suszeptibilitätsgewichtete Sequenzen) lassen sich Eisenablagerungen im Gehirn nachweisen. Bei der MSA lässt sich mit diesen Methoden eine erhöhte Eisendeposition, insbesondere im hinteren Anteil des Putamens und im Pulvinar thalami, zur Darstellung bringen, die als diskriminierendes Merkmal zum Morbus Parkinson gewertet werden kann.
- Das Vorliegen eines hyperintensen putaminalen Randsaums und eines Hot-Cross-Bun-Zeichens (nach der Form eines Brötchens mit Kreuzmuster) in T2-gewichteten Aufnahmen scheint eine relative hohe Spezifität für MSA, jedoch eine niedrigere Sensitivität zu besitzen.
- Volumetrisch findet sich bei MSA-Patienten eine signifikant deutlichere Atrophie im Zerebellum, Thalamus, Putamen und Hirnstamm als bei Morbus Parkinson.
- PSP:
- Beim PSP-RS ist die Atrophie am stärksten im Mittelhirn, in Höhe des Tegmentums und den Pedunculi cerebellares superiores ausgeprägt. In der sagittalen Ansicht erinnert die Konfiguration des Mittelhirns an die Gestalt eines Kolibris („Kolibrizeichen“).
- Das Mickey-Mouse-Zeichen ist auf axialen Schichten zu erkennen und entspricht dem Morning-Glory-Flower-Zeichen (nach dem englischen Namen der Prunkwinde). Letzteres wird auf dem axialen Schnittbild in Höhe des Mittelhirns identifiziert durch das Ziehen einer horizontalen Linie durch die hintere Grenze des Aquädukts. Eine zweite Linie wird dann entlang des lateralen Rands des Tegmentums gezogen von der Kreuzung der horizontalen Linie zur „Grube“ zwischen Tegmentum und den Pedunkeln. Bei Gesunden ist der laterale Rand des Tegmentums konvex und verläuft außerhalb der zweiten Linie. Bei der PSP ist das Tegmentum konkav und der laterale Rand verläuft innerhalb der zweiten Linie. Anhand dieser Zeichen lässt sich eine PSP-RS nicht von einer CBD differenzieren.
- Der Pons-Mittelhirn-Quotient hat eine hohe Spezifität und Sensitivität für die Diagnose einer autoptisch verifizierten PSP.
- In verblindeten Auswertungen haben konventionelle MRT-Untersuchungen eine relativ hohe Spezifität, aber eine vergleichsweise geringe Sensitivität für PSP und MSA und nur eine mäßige Übereinstimmung zwischen verschiedenen Auswertern gezeigt.
PET/PET-CT
-
MSA: Im FDG-PET findet sich bei MSA im Vergleich zum M. Parkinson eine relativ niedrigere Anreicherung im Zerebellum, medialen Thalamus, posterioren Putamen, Nucleus caudatus, Hypothalamus, in limbischen Regionen und kaudalen sowie lateralen Anteilen des Frontallappens. Im lateralen Thalamus und posterioren Assoziativkortex sowie im inferioren Frontallappen ist der Glukosemetabolismus hingegen gesteigert.
-
PSP: Das 18FDG-PET zeigt einen Hypometabolismus im frontalen Kortex, im Kaudatus, im Mittelhirn und im Thalamus. Tauproteinspezifische Tracer werden derzeit noch in Studien untersucht.
-
CBD: Das 18FDG-PET soll anhand eines Kovarianzmusters zwischen CBD und anderen atypischen Parkinson-Syndromen differenzieren können [20].
Sonstiges
-
Die Dysfunktion des präsynaptischen dopaminergen Systems kann mithilfe der Dopamintransporter-Szintigrafie (123FP-CIT-SPECT, DaTSCAN) sichtbar gemacht werden. Diese Untersuchung differenziert jedoch nicht zwischen atypischen Parkinson-Syndromen und dem idiopathischen Parkinson-Syndrom. Das 123I-markierte IBZM-SPECT wird eingesetzt, um den Funktionszustand des striatalen postsynaptischen D2/D3 Rezeptors zu beschreiben. Diese Untersuchung weist eine geringe Spezifität und Sensitivität auf. Die kardiale sympathische Innervation lässt sich mit dem123I-MIBG-SPECT untersuchen. Sie zeigt beim idiopathischen Parkinson-Syndrom, aber nicht bei der MSA, eine postsynaptische Denervierung an.
-
DLB: Multitracer-PET-Studien zeigen keinen Unterschied in Bezug auf cholinerge oder dopaminerge Defizite zwischen DLB und der PDD.
Instrumentelle Diagnostik
EEG
-
Das EEG ist für Differenzialdiagnostik von Morbus Parkinson oder anderen Parkinson-Syndromen nur von sehr geringer Bedeutung.
-
Bei der DLB zeigt sich eine deutliche posteriore EEG-Verlangsamung mit periodischen Fluktuationen im Prä-Alpha/Thetaband.
EMG
-
Die EMG des Sphincter ani zeigt bei der MSA, aber auch bei einigen Patienten mit DLB oder PSP Denervierungszeichen. Es ist unklar, ob die EMG zur Abgrenzung gegen ein idiopathisches Parkinson-Syndrom hilfreich sein kann.
24-Stunden-Blutdruckmessung
-
Um eine orthostatische oder nächtliche Blutdruckregulationsstörung (fehlende Nachtabsenkung) zu erkennen, wird eine 24-h-Blutdruckmessung als Teil der initialen Untersuchung empfohlen. Dies dient insbesondere der Erkennung einer nächtlichen Hypertension, die parallel zu einer orthostatischen Hypotension existieren kann und durch therapeutische Maßnahmen zur Behandlung einer orthostatischen Hypertension aggraviert werden kann.
Uroflowmetrie
-
Die Uroflowmetrie dient der Erfassung des Restharnvolumens, insbesondere bei Patienten mit Symptomen oder klinischen Zeichen für eine Retentionsstörung.
-
Eine ausführliche urodynamische Untersuchung zur Erkennung einer Detrusorüberaktivität oder einer Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie wird bei entsprechenden Symptomen eingesetzt.
Weitere Verfahren
-
PSP: Die Verlangsamung von Sakkadengeschwindigkeit oder Amplitude lässt sich apparativ quantifizieren. Dies hat jedoch keine breit akzeptierte praktische klinische Bedeutung.
Histologie, Zytologie und klinische Pathologie
Molekulargenetische Diagnostik
-
Bei der DLB sind keine monogenetisch vererbten Formen bekannt. Bei einer sehr kleinen Gruppe von Familien mit DLB haben sich Assoziationen mit Risikoallelen einzelner Gene, z.B. dem Gen für die Glukozerebrosidase gefunden. Aktuell existieren keine genetischen Marker für die Erkrankung.
-
Monogenetische Formen der atypischen Parkinson-Syndrome MSA und PSP sind extrem selten. Bei der PSP kann eine Mutation im MAPT-Gen (MPAT: „microtubule-associated protein tau“) vorliegen, die häufig das Exon 10 betrifft.
-
CBD: Taumutationen können bei der wahrscheinlichen Form einer CBD vorliegen. Mutationen im GRN- (Granulin), TDP-43- („transactive response DNA binding protein 43 kDa“) oder FUS-Gen (FUS: „fused in sarcoma“) schließen die Diagnose CBD aus.
Sonstiges
-
Die neuropathologischen autoptischen Befunde stellen für alle atypischen Parkinson-Syndrome den Goldstandard dar. Intra vitam gewonnene Hirnbiopsate werden derzeit wegen mangelnder therapeutischer Konsequenz nicht gewonnen.
-
MSA: Der Stellenwert des Nachweises von α-Synukleinaggregaten in Biopsien der Haut zur Differenzierung der MSA vom idiopathischen Parkinson-Syndrom wird gegenwärtig untersucht.
Differenzialdiagnosen
In der folgenden Tabelle werden die wichtigsten Differenzialdiagnosen der atypischen Parkinson-Syndrome nach Ursachen (Tab. 21.6) und Syndrom (Tab. 21.7) behandelt.
Alle atypischen PS sind differenzialdiagnostisch auch zueinander abzuwägen. |
|
primäre autonome Dysfunktion (DD zur MSA) hereditäre spastische Spinalparalyse (DD zur MSA) Chorea Huntington (DD zu allen atypischen PS) spinozerebelläre Ataxien, autosomal rezessive Ataxien fragiles X-Tremor-Ataxie-Syndrom (alle atypischen PS) frontotemporale lobäre Degeneration (DD zur CBD) genetische Motoneuronerkrankungen mit atypischem Beginn (DD zu PSP, CBD) Mitochondriopathien (DD zu allen atypischen PS) Chorea-Akanthozytose: autosomal-rezessiv; Blutausstrich (Akanthozyten), Westernblot (Nachweis einer Chorein-Defizienz); Mutation im VPS13A-Gen auf Chromosom 9q21 (DD zu allen atypischen PS) McLeod-Syndrom: x-chromosomal; Mutation im XK-Gen (DD zu allen atypischen PS) Morbus Wilson: Kupfer im Serum und Urin, Zoeruloplasmin, Kayser-Fleischer-Ring; Mutation im Gen ATP7B (DD zu allen atypischen PS) |
|
typische Erweiterung der inneren Liquorräume, Liquordiapedese, positiver Liquorentlastungstest (geringe Sensitivität) |
|
vaskulär: subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie (SAE) |
ausgeprägte Marklagerveränderungen; innere und äußere Hirnatrophie |
tumoröse Raumforderung |
Bildgebung (einschl. Kontrastmittel): (Olfaktorius-)Meningeom, Schmetterlingsgliom |
Anamnese; Bildgebung, Strukturschäden, diffuser axonaler Schaden, Mikroblutungen |
|
Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung, AIDS, progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML), serologische und Liquordiagnostik, Virusnachweis (PCR). |
|
Kohlenstoffmonoxid, Mangan, Blei, MPTP, Pflanzenschutzmittel |
|
Neuroleptika, α-Methyldopa, Metoclopramid, Lithium, Kalziumantagonisten: Cinnarizin, Flunarizin; nach Absetzen des auslösenden Mittels Remission |
|
ATP7B: P-Typ-ATPase, CBD: kortikobasale Degeneration, MPTP: 1-Methyl-4-phenyl-1,2,3,6-tetrahydropyridin, MSA: Multisystematrophie, PCR: Polymerasekettenreaktion, PS: Parkinson-Syndrom, PSP: progressive supranukleäre Blickparese, VPS13A: „vacuolar protein sorting-associated protein“ 13A |
atypisches Parkinson-Syndrom |
|
Demenz mit Lewy-Körperchen |
|
primäre autonome Dysfunktion, sporadische idiopathische spät beginnende Ataxie, spinozerebelläre Ataxien, fragiles X-Tremor-Ataxie-Syndrom, hereditäre spastische Spinalparalyse, Mitochondriopathien, alkoholassoziierte Kleinhirnatrophie, paraneoplastische Kleinhirndegeneration, gluteninduzierte Ataxie, autoimmun-entzündliche ZNS-Erkrankungen (MS, Kollagenosen), HIV-Enzephalitis |
|
progressive supranukleäre Blickparese |
|
Frontotemporale Demenz, Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung |
|
HIV: humanes Immundefizienzvirus, MS: Multiple Sklerose, ZNS: Zentralnervensystem |
Therapie
- Eine kausale pharmakologische Therapie existiert für keines der atypischen Parkinsonsyndrome. Die meisten pharmakologischen Behandlungsansätze stützen sich auf die Erfahrungen bei anderen Bewegungsstörungen, in keinem Fall aber auf Studien mit einem hohen methodischen Standard.
- Die Therapie sollte sich bei allen atypischen Parkinsonsyndromen auf die bestmögliche Symptomkontrolle fokussieren und nach Möglichkeit nicht pharmakologische Maßnahmen unter Einbeziehung eines multidisziplinären Teams (Neurologen, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden, Diätberater, Orthoptisten, Psychologen und Palliativspezialisten) einbeziehen.
Therapeutisches Vorgehen
- Bisher existieren zu keinem der atypischen Parkinsonsyndrome pharmakologische oder nicht pharmakologische kausale, d.h. verlaufsmodifizierende Therapieverfahren. Gegenwärtig werden in mehreren Studien biologische Therapien überprüft, die auf der molekularen Pathologie der Erkrankungen beruhen und auf die Elimination pathogener Proteinaggregate oder die Verhinderung von Aggregaten gerichtet sind. Patienten sollten deshalb auf die Möglichkeit der Teilnahme an einer der laufenden Studien hingewiesen werden.
- Nachdem die Diagnose eines der atypischen Parkinsonsyndrome gestellt ist, steht im Mittelpunkt der weiteren Therapie die bestmögliche Kontrolle der vielfältigen Symptome und zwar gerade auch der nicht motorischen Symptome (Tab. 21.8).
- Mit fortschreitender Erkrankung ist die Diagnose immer wieder zu überprüfen. Der Wunsch des Patienten und seiner Angehörigen, über die Natur der Erkrankung und die begrenzte Lebenserwartung aufgeklärt zu werden, sollte ermittelt und entsprechend beantwortet werden. Dabei sollten Fragen in Bezug auf den Umfang der zukünftigen therapeutischen Maßnahmen angesprochen werden. Die Abfassung einer Vorsorgevollmacht und einer Patientenverfügung sollte angeregt werden. Die Möglichkeit einer palliativen ambulanten Betreuung oder der Betreuung in einer palliativmedizinischen Einrichtung sollte beizeiten angesprochen werden.
Parkinson-Syndrom |
Levodopa (bis zu 1g/d; z.B. 3- bis 4-mal 100–250mg/d), Ansprechen bei bis ca. 30% der Patienten DLB: Zonisamid (1-mal 25–50mg/d) PSP: Zolpidem (1-mal 10mg) Tremor: Propranolol (80–240mg/d) Dopaminagonisten, Amantadin (300–600mg/d) (vermeiden bei kognitiven Störungen/Halluzinationen/Verhaltensstörungen) |
Myoklonus (CBD) |
Clonazepam (2–6mg/d); außerdem: Levetiracetam, Gabapentin, Valproat |
Dystonie (MSA) einschl. laryngealer Stridor (MSA) |
|
Blickparese (PSP) |
Amitriptylin (1-mal 75–150mg) |
orthostatische und postprandiale Hypotension (MSA) |
orthostatisch: Kompressionsstrümpfe, erhöhte Kochsalzzufuhr, ausreichend Flüssigkeit, häufige kleine Mahlzeiten Fludrocortison (0,1–0,3mg/d) Midodrin (15–30mg/d) oder Ephedrin (15–45mg/d) L-Dihydroxyphenylserin (l-threo-DOPS) (100–200mg/d) (Import, als Northera in USA zugelassen) postprandial: Octreotid (25–50mg s. c., 30min vor den Mahlzeiten) |
Trospiumchlorid (2- bis 3-mal 10–15mg/d) Tolterodin (2-mal 2mg/d) Oxybutynin (2- bis 3-mal 2,5–5mg) |
|
nächtliche Polyurie (MSA) |
Desmopressin (10–40μg Spray) |
Zolpidem (1-mal 5–10mg) |
|
Dextromethorphan/Chinidin (30mg/10mg) |
|
für DLB und evtl. MSA zentral wirksame Azetylcholinesteraseinhibitoren z.B. Donepezil (5–10mg/d) oder Rivastigmin (12–24mg/d), eine Zulassung für die DLB existiert für Rivastigmin; für PSP, CBD keine Wirksamkeit nachgewiesen |
|
psychotische Störungen, Halluzinationen, Verhaltensstörungen (DLB, PSP, CBD, weniger MSA) |
Rivastigmin (12–24mg/d) bei Halluzinationen Verhaltensstörungen: Memantin (5–20mg/d) klassische Neuroleptika sind wegen der Gefahr der Induktion eines malignen Neuroleptikasyndroms kontraindiziert; wenn Neuroleptika nicht vermeidbar sind, sollen in jedem Fall Atypika eingesetzt werden, z.B. Clozapin (6,25–100mg/d) oder Quetiapin (Off-Label-Use, 25–100mg z. Nacht) Pimavanserin (als Nuplazid in USA zugelassen) |
CBD: kortikobasale Degeneration, DLB: Demenz mit Lewy-Körperchen, MSA: Multisystematrophie, PSP: progressive supranukleäre Blickparese |
Allgemeine Maßnahmen
- Für alle atypischen Parkinson-Syndrome sind physiotherapeutische Maßnahmen essenziell zur bestmöglichen Aufrechterhaltung des Status quo.
- Alle Patienten mit einem atypischen Parkinson-Syndromen sollten auch angehalten werden, nach Möglichkeit ein Ausdauertraining (Ergometer, Schwimmen) durchzuführen. Oft sind der Durchführung eines solchen Trainings jedoch rasch Grenzen durch den fortschreitenden Krankheitsverlauf gesetzt.
Pharmakotherapie
- Levodopa kann die Bradykinese und den Rigor bei der PSP und der CBD mildern, aber die Wirkung ist in der Regel schwach ausgeprägt und nur für eine kurze Zeit vorhanden. Dies korrespondiert mit der Tatsache, dass ein fehlendes Ansprechen Teil der diagnostischen Kriterien für PSP und CBD darstellt.
- Botulinumtoxin-Injektionen in die Speicheldrüse können eine Sialorrhö lindern, die Ausdruck einer Schluckstörung und nicht einer übermäßigen Speichelproduktion ist.
- Die Dystonie kann durch intramuskuläre Botulinumtoxin-Injektionen (insbesondere Blepharospasmus) und durch Baclofen oder Benzodiazepine gelindert werden.
- Ein Myoklonus kann auf Benzodiazepine und Levetiracetam ansprechen.
- Azetylcholinesteraseinhibitoren und N-Methyl-D-Aspartat-Antagonisten bessern die kognitiven Störungen der PSP, CBD und anderen Tauopathien nicht; sie sind für die Behandlung nicht zugelassen.
- Zur Behandlung von Verhaltensstörungen sind atypische Antipsychotika nur mit großer Zurückhaltung einzusetzen.
- Die Verträglichkeit von Antidepressiva ist in der Regel schlecht.
- In aktuellen Ansätzen wird versucht, die α-Synuklein- oder Tauproteinaggregate immunologisch zu eliminieren oder ihre Entstehung zu verhindern.
Zellbasierte Verfahren
Stammzelltransplantation
- Die Stammzelltransplantation ist bei keinem der atypischen Parkinson-Syndrome indiziert.
Operative Therapie
-
Die Tiefe Hirnstimulation ist bei keinem der atypischen Parkinson-Syndrome indiziert.
Nachsorge
- Nach Diagnosestellung werden regelmäßige Verlaufskontrollen empfohlen, um die Diagnose zu überprüfen und die Maßnahmen zur bestmöglichen Symptomkontrolle zu aktualisieren.
- Es existieren Konsortien, in denen Kohorten verschiedener atypischer Parkinson-Syndrome phänotypisiert werden und Biomarker gewonnen werden.
- Eine palliativmedizinische Beratung und die Einleitung palliativmedizinischer Maßnahmen kann angezeigt sein.
Verlauf und Prognose
- DLB: Die Lebenserwartung beträgt 5–7 Jahre.
- MSA:
- Die mittlere Überlebenszeit liegt zwischen 5,3 und 10,2 Jahren [21] mit 1- bzw. 5-Jahres-Überlebensraten von 74% bzw. 24% [6].
- Für die MSA sind die folgenden Variablen mit einem ungünstigeren Verlauf assoziiert:
- schwere Dysautonomie
- frühe Entwicklung kombinierter motorischer und autonomer Symptome
- Der Einfluss des Alters bei Erkrankungsbeginn und des Stridors (bei MSA) sind noch ungeklärt.
- Früh auftretende Stürze kommen bei PSP und MSA vor und stellen negative Verlaufsprädiktoren dar.
- Weder das Geschlecht noch der MSA-Phänotyp beeinflussen den Verlauf.
- PSP:
- Die mittlere Lebenserwartung beträgt 7–8 Jahre.
- Für die PSP sind die folgenden Variablen mit einem ungünstigeren Verlauf assoziiert:
- PSP-Richardson-Phänotyp
- frühe Dysphagie
- frühe kognitive Symptome
- CBD: Die mittlere Lebenswartung beträgt 7 Jahre.
Prävention
- Präventive Maßnahmen sind nicht bekannt.
Literatur
Quellenangaben
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Wichtige Internetadressen
- https://orpha-selbsthilfe.de
- www.parkinson-allianz.de/index.php?id=65
- www.psp-gesellschaft.de/selbsthilfe/sh-gruppen